Ist der Hype um InsurTechs schon vorbei und haben sie sich doch nicht durchsetzen können? Diese Diskussionen hört man in letzter Zeit oft. Das liegt einerseits daran, dass das Geschäftsvolumen der InsurTechs nicht so schnell gewachsen ist, wie vielleicht der eine oder andere erwartet oder gehofft hatte. Hinzu kommt, dass sich aktuell – allerdings nicht primär im InsurTech-, sondern eher allgemein im Start-up-Bereich – Bewertungen massiv reduziert haben und Finanzierungsrunden nicht mehr überall so üppig ausfallen, wie in der Vergangenheit. Die Frage, welche Rolle InsurTechs in der Versicherungswirtschaft derzeit spielen und wie sich diese in Zukunft gestalten wird, kann mit verallgemeinerten Betrachtungen des Marktes wie diesen allerdings nicht beantwortet werden. Dass der Hype rund um InsurTechs und der Einfluss ihrer Geschäftsmodelle auf die Industrie wieder vorbei ist, ist viel zu kurz gegriffen.
Die Versicherungslandschaft wird und muss sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten grundlegend verändern und das wird viele etablierte Namen weiterhin vor große Herausforderungen stellen. Das über eine gefühlte Ewigkeit vorherrschende Modell, in welchem alles aus einer Hand kommt – von der Produktentwicklung über die technische Abbildung bis zur Schadenbearbeitung und dem Kundenservice – wird auf Dauer nicht bestehen bleiben. Am deutlichsten ist das aktuell bereits im Automobil- bzw. Mobilitätsbereich zu erkennen. Dort entstehen schon heute – nicht nur durch vernetzte Kfz und Telematik-Tarife – Mobilitätskonzepte und -angebote für den Endkunden, die den Versicherungsschutz als eine relevante Komponente beinhalten. Es ist aber keineswegs Voraussetzung, dass der Kunde dem Versicherer sein volles Informations- bzw. Datenvolumen zur Verfügung stellt, wie das aus der Vergangenheit bekannt war.
Eng damit verbunden ist das Thema Embedded Insurance. Es steht allerdings nicht nur im Automobilbereich, sondern allgemein in der Versicherungslandschaft noch ganz am Anfang. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, wann diese Konzepte in den verschiedensten Bereichen und Produkten eine größere und maßgeblichere Rolle spielen werden. Möglicherweise werden Versicherer hier deutlich stärker in eine „Zuliefererrolle“ schlüpfen. Das wird natürlich zu einem gewissen Grad einen Bruch mit ihrem jahrelangen Geschäftsansatz darstellen. An dieser Stelle sind InsurTechs durch ihren Digitalisierungsansatz grundsätzlich sehr gut aufgestellt, um die notwendige An- und Einbindung der Versicherungskomponenten zu gewährleisten.
Ein weiterer Veränderungsdruck wird auch durch die sich weiter verstärkenden Anforderungen an höhere Flexibilität im Produktentwicklungsbereich kommen. Entwicklungs- sowie Anpassungszyklen werden sich signifikant erhöhen und Reaktionen auf Marktveränderungen werden enorm an Geschwindigkeit zulegen müssen. Es entstehen kontinuierlich neue Risiken durch Innovation sowie deutlich höhere Anforderungen an flexible Produkte auf der Nachfrageseite. Neben den massiven Problemen durch veraltete IT-Systeme bei der Zusammenführung unterschiedlicher Datensysteme, die einen Großteil der Versicherungsunternehmen vor enorme Herausforderungen stellen, ergeben sich auch strukturelle und konzeptionelle Anforderungen, denen Versicherungsunternehmen oft nicht entsprechen und dies auch in kurzer Zeit nicht ändern können.
Der zunehmende Veränderungsdruck in der Versicherungslandschaft wird sich nicht nur mit dem üblichen Buzzword „Digitalisierungsaufwand“ erklären und angehen lassen. Viel mehr wird es einerseits zu einer Fragmentierung der Wertschöpfungskette, in welcher unterschiedliche Partner sich mit ihren jeweiligen Kernkompetenzen einbringen werden, sowie andererseits zu einer steigenden Anforderung an Entwicklungsgeschwindigkeit kommen. Hier ist es spannend zu sehen, wie stark sich „traditionelle“ Versicherungsunternehmen auf diese verändernde Lage einlassen und einstellen können. InsurTechs sind dafür neben ihren technischen Voraussetzungen insbesondere durch ihre Agilität deutlich besser aufgestellt, sich diesen Veränderungsanforderungen zu stellen.
Ein reiner Vergleich, ob digitale Player mit dem mehr oder weniger gleichen Produktangebot – nur auf digitale Art und Weise – bisherige Anbieter verdrängen können, liefert daher keine sinnvollen Erkenntnisse. Natürlich wird rein die Tatsache ein InsurTech zu sein, keine Garantie darstellen, langfristig erfolgreich zu sein. Genauso wenig wird es zum großen Massensterben der bestehenden Versicherungsunternehmen kommen. Am Ende wird entscheidend sein, wie jedes einzelne Unternehmen in der Lage ist, sich in den anstehenden Veränderungen zu behaupten und welche Angebote man entwickeln und darstellen kann. Fakt ist aber, dass InsurTechs hier eine Rolle spielen werden – und aller Voraussicht nach eine immer größere. Ein Abgesang auf eben jene InsurTechs, nach dem Motto die „Luft ist raus“, entspricht ebenso wenig der Realität wie vielleicht noch vor ein paar Jahren die Erwartungshaltung, dass es zu einer schnellen und massiven Disruption des Marktes kommt.
Das Themendossier ist die Publikation der Versicherungsforen Leipzig